Zur Verjährung bei Dauerschäden

Wann immer ein Mensch einen Dauerschaden hat, für den ein Dritter Verantwortung hat, hat er ein Leben lang mit einer Haftpflichtversicherung zu tun – es sei denn er lässt sich abfinden, was aber nur in Ausnahmefällen Sinn macht.

Nunmehr ist es so, dass – wenn das ganze Leben zum Schadensfall wird – grundsätzlich jede einzelne Position geltend gemacht werden muss, dass die Versicherung zahlt. Werden hier Positionen vergessen oder schlicht und ergreifend nicht angegangen, droht hier die Verjährung.

Verjährung bedeutet nichts anderes, dass die Versicherung sich irgendwann weigern kann zu bezahlen mit der Argumentation (juristisch: Einrede) dass man zu lange – in der Regel drei Jahre – nichts gefordert habe.

Dieses Problem betrifft viele Betroffene, die oft in Unkenntnis – oder anwaltlich schlecht vertreten – teilweise Positionen nicht geltend gemacht haben. Hier hat nun das Landgericht Arnsberg – unterstützt durch das Oberlandesgericht Hamm als nächsthöhere Instanz – einen Riegel vorgeschoben.

Aber im Einzelnen:

Einer unserer Mandanten, ein schwerbehinderter junger Mann, hat seit Jahrzehnten aufgrund eines selbstverschuldeten Unfalls mit einer Haftpflichtversicherung zu tun. Sein Anwalt hat letztlich über mehrere Jahre hinweg vergessen, den Verdienstausfall geltend zu machen. Der Mandant, juristisch unkundig und von der Situation überfordert, monierte dies nicht, da ja fortlaufend Zahlungen für andere Schadenspositionen (monatlich) von der Versicherung erbracht wurden.

Nach dem Wechsel in die Kanzlei des Autors wurde dies bemerkt und der Verdienstausfall rückwirkend ab 2012 geltend gemacht. Diese Forderung eines signifikanten Betrages konterte die Haftpflichtversicherung dadurch, dass sie Verjährung einwendete, jedenfalls für die Jahre 2012 – 2016.

Wir nahmen dies zum Anlass, den Voranwalt zu verklagen und natürlich der Versicherung den Streit zu verkünden. Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Urteil, das im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und seinem Anwalt ergeht, auch Wirkung gegenüber der Versicherung hat. Vereinfacht formuliert: Sieht das Gericht die Forderung „Verdienstausfall“ als verjährt an, so haftet der Anwalt, ist die Forderung indes nicht verjährt, kann sich die Versicherung hierauf nicht mehr berufen.

Mit dieser Ausgangslage konnte der Prozess recht entspannt geführt werden, eine klassische win-win Situation. Das Urteil (LG Arnsberg, Urteil vom 28.04.2022, Az I-1 O 292/21) fiel dann allerdings erfreulich auch im Hinblick auf andere Fälle aus. Die Forderung war nicht verjährt. Spannend ist hier die Begründung. Das Landgericht argumentiert damit, dass die Verjährung gemäß § 212 BGB mit Anerkenntnis durch Zahlungen auf andere Schadenspositionen jeweils neu begonnen habe. Anerkenntnis im Sinne des „208 BGB sei hier, so das Gericht, jede Handlung oder Äußerung gegenüber dem Berechtigten, aus der sich das Bewusstsein des Verpflichteten (hier die Versicherung) vom Bestehen des Anspruchs unzweideutig ergibt. Ein solches Anerkenntnis, so das Gericht weiter, ist dann anzunehmen, wenn der Schädiger oder sein Haftpflichtversicherer Schadensersatzleistungen erbringen. „Da der gesamte einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden eine Einheit darstellt, liegt ein den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens insgesamt umfassendes Anerkenntnis regelmäßig auch dann vor, wenn sich der Schaden aus mehreren Schadensarten (z. B. Heilungskosten, Erwerbsschaden, Mehrbedarf) zusammensetzt, der Geschädigte bzw. sein Rechtsnachfolger nur einzelne dieser Schadensteile geltend macht und der Schädiger allein hierauf zahlt. Hierdurch erweckt nämlich der Schädiger bei dem Geschädigten grundsätzlich das Vertrauen, auch auf die anderen

Schadensgruppen, soweit sie geltend gemacht werden, Ersatz leisten zu wollen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie im Streitfall, ausschließlich Ersatzansprüche für einen Personenschaden in Betracht kommen.“

Dies bedeutet konkret, dass, sobald auf irgendeine Schadensposition eine Zahlung erbracht wird, die Verjährung nicht nur gehemmt ist, sondern neu beginnt. Folgt man der Rechtsauffassung, so können auch in „Altfällen“ „vergessene“ Schadenspositionen rückwirkend bis zum Unfalltag geltend gemacht werden, wenn nicht die Versicherung hier explizit und deutlich die Zahlung verweigert hat.

Nachdem der streitverkündeten Versicherung das Urteil nicht passte, ging diese in Berufung.  Nunmehr liegt auch die Entscheidung des OLG Hamm in Form eines Hinweisbeschlusses gemäß 522 Abs. 2 ZPO vor, das die Berufung für zurückweisungsreif hält.

Das Oberlandesgericht bestätigt hier zunächst die Rechtsauffassung des Landgerichts. Es bringt darüber hinaus auch noch ein weiteres Argument, weswegen keine Verjährung eingetreten ist, obschon der Verdienstausfall über mehrere Jahre nicht mehr geltend gemacht wurde.

Laut Oberlandesgericht fehle es bereits am Abschlussschreiben nach damals noch § 3 Nr. 3 S.3 PflVersG (jetzt § 115 Abs 2 VVG). Erforderlich sei hier eine eindeutige und endgültige Bescheidung des angemeldeten Anspruchs, und zwar insgesamt. Würden nur Teile abgelehnt (oder akzeptiert), so reiche dies nicht aus.

Zusammengefasst bedeutet dies: Sofern eine Haftpflichtversicherung regelmäßig bezahlt und/oder kein vollumfängliches Abschlussschreiben vorliegt, können jedenfalls nach dieser Rechtsprechung jederzeit weitere  Schadensersatzforderungen auch rückwirkend bis zum Unfalltag geltend gemacht werden.

Das Urteil und der Hinweisbeschluss können bei Autor erfragt werden.

Zur Person des Autors:

Rechtanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht

Oliver Negele

Karwendelstr 17

86399 Bobingen

Tel: 08234 96677-0

Fax: 08234 96677-10

Mail: negele@ra-negele.de

www.negele-rechtsanwaelte.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert